28. Juli 2024
Ich liebe es, mit Gleichgesinnten Schlange zu stehn,
Vorm Eiscafé Venezia und den Menschen zuzusehn,
Wie sie sich da verwandeln, und wie Wunder geschehn,
Wie beladen sie kommen, wie beseelt sie gehn.
In der rechten Hand das Hörnchen, in der linken Wechselgeld,
Sehn sie irgendwie aus, als wärn sie gern auf dieser Welt,
Vorbei an eislos Wartenden und deren sehnsuchtsvolln
Blicken siehst du sie sich glücklich und zufrieden trolln.
Menschen, die Eis essen,
Können die Welt um sich vergessen,
Die haben was Versonnenes,
Liebenswürdiges, Versponnenes.
Menschen, die Eis lecken,
Und dem Verdruss die Zunge rausstrecken,
Die kann rein gar nichts stressen,
Menschen, die Eis essen.
Vorm „Café Eiszeit“ eine Mutter vom Prenzlauer Berg,
In einer Hand das Smartphone, an der anderen ihr Zwerg,
Im Buggy sitzt ein Pitbull, der kleine Yannick schreit wie wild,
Aus der Nase schlagen Blasen und die Träne quillt.
Die Mutter ist auf Facebook, weil sie schnell was posten muss,
Der Eismann schenkt dem Kind derweil ein Hörnchen Erdbeer-Nuss.
Blitzschnell trocknen die Tränen und hinterlassen nur
Auf dem schmuddligen Gesichtchen eine saubere Spur.
Menschen, die Eis essen,
Verzichten auf’s Windeln nässen,
Die haben so was Wehrloses
Wie im Weidenkörbchen einst Moses.
Menschen, die Eis nagen,
Hörst du nicht mal leis klagen,
Die haben das Paradies besessen,
Menschen, die Eis essen.
Ein kleines Eis kann alle Schmerzen lindern,
Am Eisstand werden wir wieder zu Kindern,
Ob Banker, Bischof, Tagedieb, arm oder reich,
Vorm Eisstand sind wir Menschen alle wirklich gleich.
Wahl verlieren ist ein bitter-garstiges Geschäft,
Das Wahlvieh dumm und kleinlich, die Opposition kläfft,
Die Stimmung ist im Eimer, die Wahlplakate abgehängt,
Die Freunde alle fort, dem Glücklosen wird nichts geschenkt.
Man sieht ihm seinen Kummer an und denkt, dass in der Tat
Der arme Kandidat jetzt gar nichts mehr zu lachen hat.
Doch ein Instagramfoto liefert den Gegenbeweis,
Da hat er im Gesicht ein Lächeln – und in der Hand ein Eis.
Menschen, die Eis essen,
Sind nicht auf die Macht versessen,
Die sind sanft und friedfertig,
Die richten ihre Waffel nicht auf dich.
Menschen, die Eis kaufen,
Siehst du nicht um jeden Preis raufen,
Die sind nicht vom Ehrgeiz zerfressen,
Menschen, die Eis essen.
Die coole Mutter meckert,
Denn Yannick hat gekleckert,
Sein Eis fällt auf den Gehsteig hinab.
Yannick, so ist das Leben,
Ein Nehmen und ein Geben,
Und auf diese Weise kriegt auch Pitbull Magic was ab.
Kampfhunde, die Eis essen,
Wollen nie mehr Menschen fressen,
Die haben sowas Naives,
Zähnefletschend Meditatives,
So etwas Geduldiges,
Liebenswürdiges, Unschuldiges,
Kampfhunde vor Eisdielen,
Die tun nichts, die wolln doch nur spielen …
Aus „Das Haus an der Ampel“, 2020
Fotos © Hella Mey