2. Juli 2024
IN ASCHAFFENBURG
Es war ein bisschen wie wenn man unter Staub und Spinnweben verborgen einen Rembrandt auf dem Dachboden findet. Ich suchte in den Kisten, die uns unsere Kinder bei ihrem Auszug hinterlassen hatten, nach den alten Alf-Kassetten, die wir auf langen Autofahrten zusammen gehört hatten, bis wir die Dialoge mitsprechen konnten. Sie besaßen sie alle, nun hatten sie sie wohl bei ihrem Aufbruch in die Welt mitgenommen. Aber da, zwischen Pipi Langstrumpf, Iron Maiden und Benjamin Blümchen lagen zwei selbstbespielte, sorgfältig verpackte 100er Musikkassetten, sauber beschriftet: Aschaffenburg 1 und Aschaffenburg 2. Da waren sie, die einzigen Zeugen meiner 1992er-Tournee. Manfred Leuchter hatte die Konzerte damals mit großem Aufwand und immer seiner Zeit voraus schon digital mitgeschnitten und mir die Kassetten davon zur Begutachtung geschickt. Ich habe sie nie angehört, ich habe sie schlicht und einfach vergessen, verbummelt, vergraben. Es gab so viel zu tun, wir lebten schnell, immer den Blick nach vorn, es war wild bei uns, es war schön, es war bunt, drei Kinder, die Schule, ein quirliges Haus und so viel neue Pläne, keine Zeit, innezuhalten. Es ging drunter und drüber.
Im vergangenen Jahr fand ich in einem Internet-Forum die Frage: Warum gibt es von der 1992-Tournee kein Live-Album? Ja, warum eigentlich? Ich fragte Manfred nach den Bändern, nichts mehr da, ich fragte die Plattenfirma, keine Ahnung – schade, war doch ne tolle Tournee, selber schuld, Pech gehabt.
Und nun Glück gehabt, eine zweite Chance mit den zwei Kassetten in meinen Händen, die in meinem antiken High-End-Recorder zu neuem Leben erwachen. Die Aufnahme, ein reiner Glücksfall, wir hatten einen genialen Abend damals an diesem 20. Oktober in Aschaffenburg, das Publikum und ich, wir waren alle verdammt gut drauf, und ich habe mich nicht versungen, nicht verspielt, habe keinen Hänger gehabt, und die Gitarre stimmt von vorn bis zur letzten Zugabe – nichts aus einem anderen Konzert zum Ein- oder Ersetzen wäre nötig, Gott sei Dank, es gibt nämlich kein anderes. Die Tonqualität ist verblüffend für eine Musikkassette, da kommen die Analog-Freunde voll auf ihre Kosten. Allein an einigen Fortissimo-Stellen kommt nach all den Jahren, in denen das Band aufgespult war, manchmal ganz leise und fern ein Echo vom Kopiereffekt, aber der gehört zur Authentizität. Genauso wie in einer Atempause ein unerklärlich plötzlich aufschäumender Jubel mit Kreischen und Lachen, als ginge da ein Flitzer über die Bühne – ich kann mich nicht erinnern.
Neulich war ich im Teldex, um mit Manfred Leuchter und Jörg Surrey die Kassetten auf State-of-the-Art-Tonträger zu überspielen, 1:1, wir haben nichts vermastert, nichts verfälscht, einzig hier und da den Beifall ein bisschen gekürzt, selbst wenn es schwer fiel, das schöne Geräusch zu beschneiden, der tatsächliche Beifall wirkt auf Mitschnitten immer viel zu lang, als hätte man ihn reingeschummelt, und wir schummeln nicht. Irgendwann werden meine Frau und ich in alten Schuhkartons nach Fotos aus der Zeit fahnden, und vielleicht finden wir sogar eins von diesem Abend. Wenn wir alles zusammen haben, machen wir im Herbst ein Album daraus, und ich spende den Erlös an die Arche. Vielleicht nenn ich es analog zu, na Ihr wisst schon …
„IN ASCHAFFENBURG – die wiedergefundene Tournee“
Reinhard
Fotos © Hella Mey, T-Shirt Batik by Victoria Mey 😉