11. Februar 2023
Wir durften in den Laden damals ja noch gar nicht rein,
Und wenn sie dich erwischten, gab es jede Menge Ärger.
Ich sah grimmig aus und cool, um ’n bißchen älter zu erschein‘
Vor dem Jazz-Tempel Augsburger Straße, Ecke Nürnberger.
In meinem Ami-Parka lungerte ich rum vorm Notausgang,
Manchmal kam jemand raus und ließ die Tür kurze Zeit offen,
Und mit dem warmen Rauch, der nass und schwer ins Freie drang,
Kamen Fetzen von Musik, und ich stand wie vom Schlag getroffen.
Ich kam fast jeden Abend, hab‘ an der Eisentür gelauscht.
Mal kam eine Bedienung raus, „Na, Kleiner, das könnte dir so passen!“
Und ich hab‘ meine Briefmarkensammlung bei ihr eingetauscht,
Dafür hat sie mich von der Garderobe aus zuhören lassen.
Da spielten sie: Bob Whitlock, Bass, verzückt und selbstverlor’n,
Saxophon Guerry Mulligan, um den sich alles drehte,
„Das Uhrwerk“ Chico Hamilton, und mir klingt’s heut‘ noch in den Ohr’n:
Der liebe Gott himself: Mister Chet Baker, Trompete!
Und wenn er spielte, dann war’s als ob die Welt ringsum versank.
Den Blick in sich gekehrt, ließ er die Melodien entstehen
In einem klaren, schwerelosen und lupenreinen Klang.
Ich hielt den Atem an, mir sollte nicht ein Ton entgehen.
Und er spielte noch genial, als er schon an der Nadel hing,
Entzug, Rückfall, Entzug, das Leben ging ihm aus den Fugen.
Und er spielte wie ein Engel, als er durch die Hölle ging
Und sie ihm bei ’ner Keilerei alle Zähne ausschlugen.
An Abenden wie heut‘, wenn ich ihn in alten Platten such‘,
Will sich ein andres Foto durch die Hochglanzcover blenden,
Das Bild des Todgeweihten, um den Hals das weiße Tuch,
Das silbern funkelnde Instrument in knöchernen Händen.
Dann ist’s, als setzte er’s mit schmalen, blassen Lippen an,
Als wenn ein Blues legato, federleicht vorüberwehte –
In Amsterdam verreckt nachts 3 Uhr 10 auf der Straße ein Mann,
The God Father himself, Mister Chet Baker, Trompete.
Aus „Einhandsegler“, 2000
Foto © Hertha Mey