Nach einem Konzert in Nettetal saß ich neben der Bühne, um in einem schönen, warmen, gemütlichen Gedränge Menschen, die sich das wünschten, meinen Namen auf ihre Eintrittskarten oder Programmhefte zu schreiben. Mein Tourneebegleiter beugte sich zu mir und flüsterte, da wäre eine Dame, die kein Autogramm wolle, sondern sich nur wünsche, daß ihr Hund einmal an mir schnuppern dürfe. Als Freund aller Kreaturen sagte ich: „Na, dann lass den Hund mal zu mir kommen“. Er kam, ein wunderschöner schwarzer, großer Hund, der die Dame, die für ihn gesprochen hatte, zu mir führte. Ein Blindenhund. Dies sei schon sein viertes Reinhard-Mey-Konzert, er habe immer aufmerksam zugehört und ohne den winzigsten Laut von sich zu geben, aber jetzt wolle er mal an mir riechen, sagte die Dame. Sie selbst könne mich zwar nicht sehen, habe aber aus meinen Liedern ein sehr genaues Bild von mir vor Augen. Ihr Hund müsse sich aufgrund eingeschränkten Textverständnisses eher ein Geruchsbild von mir machen. Ich schrieb auf einem niedrigen Hocker sitzend mit dem Hund genau auf Augenhöhe. Wir sahen uns in gegenseitigem Vertrauen einen Augeblick an, dann leckte er mit großer Selbstverständlichkeit einmal über den Handrücken meiner Schreib- und Zupfhand. Ich habe das als ein Zeichen der Anerkennung empfunden und erinnere mich gern an diese Begegnung.
Ich habe oft beobachtet, wieviel sensibler Blinde Musik empfinden. Ich erinnere mich an den Klavierstimmer mit seiner schwarzen Brille, der unseren zentralheizungsgeschädigten Flügel immer wieder zu vollkommenem Wohlklang zu bringen verstand. Ich erinnere mich an frühe Chansonabende im Blindenverein Zollikofen in der Schweiz, in den ich gerne zurückkehrte, weil ich dort ein besonders waches, begeisterungsfähiges Publikum fand. Ja, sie hörten genau hin, sie hörten zwischen den Zeilen und sie spürten, was sie nicht sahen. Ich beobachte es an mir selbst, wenn ich die Augen schließe, um einem Stück Musik näher zu sein.
Als Wort-Mensch aber brauche ich zur Musik auch den Text. Wenn ich die Matthäus-Passion oder Don Giovanni höre, verfolge ich gern den Text im Klavierauszug, bei einer neuen CD eines Kollegen liebe ich es, den Text im Booklet mitzulesen. Die Musik im Ohr, den Text auf den Knien, das ist für mich doppeltes Hörvergnügen. Ein Vergnügen, das ich gern auch meinen nicht sehenden Hörern bereiten möchte. Aus diesem Wunsch entstand der Gedanke, meine Lieder in Braille setzen zu lassen. Ein Unterfangen, das sich bald als eine in jeder Hinsicht große (sechs Bände) und schwere (10.000 Gramm) Aufgabe darstellte. Die Deutsche Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig, die ich um Rat bat, ermutigte mich, bot mir ihre Mitarbeit an und verwirklichte das Projekt mit mir zusammen. Ich danke allen Beteiligten, die Ihre Begeisterung, ihre Arbeit, ihre Geduld, ihr Wissen und ihr Können miteingebracht haben.
Ihnen wünsche ich viel Freude beim Hören UND Lesen meiner Lieder!