31. Juli 2024
Von Thomas Steensen mit freundlicher Erlaubnis der Sylter Rundschau
Wie die Menschen in Nordfriesland den Beginn des Ersten Weltkriegs erlebten
Nach dem Attentat von Sarajevo prägte Ungewissheit den ganzen Juli 1914. Aber die Bauern hatten bei der Ernte alle Hände voll zu tun, auf den Inseln war „Saison“. Als dann seit dem 28. Juli eine Kriegserklärung der anderen folgte, habe dies wie eine „Erleichterung“ gewirkt, hieß es im Husumer Tageblatt.
Am 1. August 1914 wurde in Deutschland die Generalmobilmachung angeordnet. In der Föhrer Zeitung war zu lesen: „Überall machte sich helle Kriegsbegeisterung bemerkbar.“ Die Husumer Nachrichten schrieben: „Im Vertrauen auf unsere gute Sache und gestützt auf unser starkes Schwert, ziehen wir hinaus, um den Sieg an unsere Fahnen zu heften.“
Der „nationale Aufbruch“, der später oft als „August-Erlebnis“ und „Geist von 1914“ beschworen wurde, erfasste allem Anschein nach viele Menschen in Nordfriesland. Erst seit 50 Jahren gehörte die Region damals zu Deutschland. In der Zeit des Kaiserreichs wurde allenthalben der „nationale Gedanke“ gefördert – in den Schulen, den Zeitungen und zahlreichen Vereinen. Um 1910 gehörten 8000 Männer in Nordfriesland zu einem „Kriegerverein“.
In der Aula des Husumer Gymnasiums etwa umgaben zwei große Wandsprüche den Kriegstod mit höheren Weihen: Süß und ehrenvoll sei es, fürs Vaterland zu sterben, und wen die Götter lieben, der stirbt als Jüngling. Im Mai 1914 erklärte der Schuldirektor Alfred Puls, wer wahrhaft gebildet sei, werde auch sein Blut opfern, „wenn sein Kaiser ruft“.
Kaum drei Monate später wurde dies schreckliche Wirklichkeit. Das in den Zeitungen vermittelte Bild einhelliger Kriegsbegeisterung täuschte. Von Anfang an gab es, so zeigen Berichte aus verschiedenen Teilen Nordfrieslands, ernste Nachdenklichkeit und Sorge. In Ockholm wirkte die Nachricht vom Kriegsbeginn „lähmend auf die erregten Gemüter“, hielt der Lehrer der dortigen Nordschule fest. „Man sah wenige weinen und klagen, aber auch die Äußerungen großer Freude fehlten.“ Als die Glocken zur Mobilmachung läuteten, „da waren alle Einwohner bestürzt, ernst und traurig“.
Theodor Storms Enkel unter ersten Kriegstoten
Von „patriotischer Erhebung, wie sie aus den Städten gemeldet wurde“, sei wenig zu spüren, heißt es in der Kirchenchronik von Enge. In Niebüll war der Pastor vom nationalen Überschwang erfasst. Die „herrlichen Worte unseres Kaisers“ hätten „in allen Herzen begeisterten Widerhall gefunden“, vermerkte er. Viele Geistliche predigten nicht mehr von Nächstenliebe und Versöhnung, sondern von der Heiligkeit des Krieges.
Bald erschienen in den Zeitungen die ersten Gefallenen-Anzeigen, es wurden immer mehr. Einer der ersten Männer aus Nordfriesland, die im Krieg ihr Leben ließen, war der Husumer Karl Friedrich Storm. Der Enkel des Dichters Theodor Storm starb mit 23 Jahren in Belgien beim Sturm auf Lüttich in der Nacht zum 7. August 1914 den „Heldentod fürs Vaterland“, hieß es in der Familienanzeige. Am Ende des Krieges wurde der Trauer in anderer Weise Raum gegeben. Zum Tod eines jungen Husumers schrieben die Eltern, dass „unser Sohn dem grausamen Kriege zum Opfer gefallen ist“.
In den Bädern auf Sylt, Amrum und Helgoland endeten abrupt die fröhlichen Ferientage. Umgehend mussten die Badegäste abreisen. Nur in Wyk auf Föhr und in St. Peter-Ording ging der Badebetrieb weiter, doch kamen viel weniger Gäste als in Friedenszeiten. Am 30. August 1914 trieben 17 Tote am Sylter Weststrand an, Opfer eines Gefechts zwischen deutschen und britischen Kriegsschiffen. Aus einer Bredstedter Familie fielen vier Söhne.
In jeder Stadt, in jedem Dorf waren Gefallene zu beklagen. Etwa 3600 Männer aus Nordfriesland starben auf den Schlachtfeldern oder in Lazaretten. Vor dem Krieg war von einem „ritterlichen Kampf“ die Rede gewesen. Tatsächlich herrschten massenhaftes Sterben und Leiden. Erstmals wurde Giftgas eingesetzt, es verätzte die Lungen, zerstörte Augen und Gesichter, überzog den Körper mit Verbrennungen. Viele kehrten verwundet und gebrochen an Leib und Seele aus dem Weltkrieg zurück.
Das Husumer Tageblatt hatte zu Beginn von Kriegsbegeisterung berichtet, doch es schrieb auch: „Es kommt einem vor wie Völkerwahnsinn, dass die großen Völker Europas sich vielleicht bis zur Ermattung zerfleischen sollen, ihre Städte zerstören, ihre Ernte verbrennen und alle sonstigen Schrecken eines großen Krieges heraufbeschwören sollen . . .“
Der Wind geht allzeit über das Land https://www.youtube.com/watch?v=idJOBH8Xnpo
Fotos © Hella Mey