11. April 2024
Hab‘ ein altes Heft gefunden
Mit krak’liger Kinderschrift.
Abgewetzt, vergilbt geschunden,
Und ein böser, roter Stift
Metzelt in den Höhenflügen
Meiner armen Niederschrift
Mit sadistischem Vergnügen
Und verspritzt sein Schlangengift.
Und ich spüre, jeder rote
Strich am Rand trifft wie ein Pfeil.
Die Zensur ist keine Note,
Die Zensur ist wie ein Beil.
Ich spür’s, als ob’s heute wäre,
Und ich blick‘ zurück im Zorn,
Sträfling auf einer Galeere,
Und der Einpeitscher steht vorn:
Nach L N R, das merke ja,
Stehn nie T Z und nie C K!
Bildest die Mehrzahl du vom Wort,
Dann hörst die Endung du sofort.
Nimm die Regel mit ins Bett:
Nach Doppellaut kommt nie T Z,
Und merke: Trenne nie S T,
Denn es tut den beiden weh!
Ich war kein schlechter Erzähler,
Aber es war wie verhext,
Wo ich schrieb, da waren Fehler
Und wo nicht, hab‘ ich gekleckst.
Nachhilfe und guter Wille
Blieben fruchtlos, ist doch klar,
Weil ich meist wegen Sybille
Gar nicht bei der Sache war.
Wenn ich Schularbeiten machte,
Dacht‘ ich immer nur an sie –
Immer wenn ich an sie dachte,
Litt meine Orthographie…
Und so hab‘ ich mit ihr eben
Lieber probiert, als studiert.
Mich interessiert das Leben
Und nicht, wie man’s buchstabiert!
Nach L N R, das merke ja,
Stehn nie T Z und nie C K!
Bildest die Mehrzahl du vom Wort,
Dann hörst die Endung du sofort.
Nimm die Regel mit ins Bett:
Nach Doppellaut kommt nie T Z,
Und merke: Trenne nie S T,
Denn es tut den beiden weh!
Kreide kreischt über die Tafel,
Mir sträubt sich das Nackenhaar.
„Setzen, Schluss mit dem Geschwafel.
Es ist wieder wie es war,
Und da sitze ich und leide
Geduckt an dem kleinen Tisch,
Rieche Bohnerwachs und Kreide,
Welch ein teuflisches Gemisch.
Und dann kommt meine Abreibung,
Und ich werde Anarchist,
Der begreift, dass die Rechtschreibung
Die Wissenschaft der Esel ist.
Ein Freigeist, ein großer Denker,
Ein Erfinder, ein Poet,
Ein zukünft’ger Weltenlenker
Beugt sich nicht dem Alphabet!
Nach L N R, das merke ja,
Stehn nie T Z und nie C K!
Bildest die Mehrzahl du vom Wort,
Dann hörst die Endung du sofort.
Nimm die Regel mit ins Bett:
Nach Doppellaut kommt nie T Z,
Und merke: Trenne nie S T,
Denn es tut den beiden weh!
Ich schreib‘ heute noch wie Django.
Schreib‘ ohne Bevormundung,
Trotze dem endlosen Tango
Der deutschen Rechtschreibung.
Ich hab‘ nur Glück, dass ich heut‘ singe,
Und somit ungelesen bleib’:
Ihr wisst von mir 1000 Dinge,
Aber nicht, wie ich sie schreib’.
Nach L N R, das merke ja,
Stehn nie T Z und nie C K!
Bildest die Mehrzahl du vom Wort,
Dann hörst die Endung du sofort.
Nimm die Regel mit ins Bett:
Nach Doppellaut kommt nie T Z,
Und merke: Trenne nie S T,
Denn es tut den beiden weh!
Aus „immer weiter“, 1994
Aus einem Heft von 1985, 2. Klasse
Foto © Hella Mey